Jakob Hein: Danke für den Spieleabend
Sie bewiesen wirklich unendlich viel Geduld und zeigten Verständnis, dass wir uns nicht so auskannten mit den Regeln Ihres schönen Spiels. Im Osten war ja eben dieses Monopoly richtiggehend verboten, weil es das andere Gesellschaftssystem verherrlichte. Aber für Sie, liebe Familie Michel, war das kein Problem. Sie haben uns trotzdem Spielfiguren gegeben, die genauso waren wie die, die Sie auch hatten und haben uns mitwürfeln lassen, mit genau dem gleichen Würfel, den Sie auch benutzt haben. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Dafür nochmals danke!
Außerdem haben Sie uns auch die recht komplizierten Regeln des Spiels sehr gut erklärt. Immer, wenn Sie eine Straße gekauft oder ein Hotel gebaut hatten, zeigten Sie uns, wie man so etwas richtig anstellt. Ihre Tipps und die spannenden Anekdoten von ihrem geschickten Agieren im bisherigen Spielverlauf, waren köstlich und inspirierend. Es war ja nicht Ihr Verschulden, dass Sie schon ziemlich lange beim Spiel dabei waren, als wir mit zur Partie kamen! Wer kam denn zu spät, Sie oder wir? Klar sind da alle Hotels schon weg, was sonst? Und das, obwohl Sie uns genau das gleiche Geld gegeben hatten, wie Sie auch am Anfang vom Spiel bekommen hatten, wie fair ist das denn? Unseren Sohn haben Sie sogar zum Banker gemacht, der hat sich sowas von gefreut, Ihnen die Zehntausender überreichen zu dürfen. Wir wollen uns nochmal dafür entschuldigen, dass unsere Tochter später am Abend so ausgerastet ist, das Spielfeld umgeworfen und Sie angebrüllt hat. Sie ist noch so jung und muss noch zu verlieren lernen, das können wir eben als Erwachsene schon besser. Wir haben Ihr versucht zu erklären, dass es doch viel netter ist, bei Ihnen zu verlieren, als zuhause zu gewinnen, aber dafür fehlt ihr das Abstraktionsvermögen. Außerdem vermuten wir auch, dass Sie mit ihrer Erklärung für das Fehlverhalten unserer Tochter völlig recht haben. Auf das Thema mit dem Töpfchen und den Pionieren wären wir selbst nie gekommen, aber Sie haben natürlich recht. Umso dankbarer sind wir, dass Sie uns einige Ihrer weniger begabten Söhne mitgegeben haben, die uns daheim prima helfen können, unsere Lebensführung auf Vordermann zu bringen. Sie haben ja völlig recht, unsere Spitzenqualität war damals schon schlechter als Ihre dritte Wahl und darum sind wir mit Ihrer zweiten Wahl doch bestens bedient, richtiggehend verwöhnt.
Also nochmals vielen Dank für den schönen Abend, vielleicht können wir das bald wiederholen. Unnötig zu sagen, dass wir auch sehr gern mit Ihnen „Mensch, ärgere Dich nicht“ spielen würden.
Jakob Hein, geboren 1971 in Leipzig, lebt seit 1972 mit seiner Familie in Berlin. Er arbeitet als Psychiater. Seit 1998 Mitglied der »Reformbühne Heim und Welt«. Er hat inzwischen 17 Bücher veröffentlicht, darunter Mein erstes T-Shirt (2001), Herr Jensen steigt aus (2006), Wurst und Wahn (2011), Kaltes Wasser (2016) und zuletzt Die Orient-Mission des Leutnant Stern (2018).