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Meinungshoheit erkämpfen

Meinungshoheit erkämpfen | Quelle: ABL

Bereits die Montagsdemonstrationen 1989/90 waren sehr heterogen. Unmittelbar nach der deutschen Einheit wurden soziale und politische Konflikte unter der „Marke“ weiter ausgetragen. Bis in die Gegenwart wird das Narrativ herangezogen. Die Ziele der Veranstalter könnten dabei kaum unterschiedlicher sein. Es geht sogar so weit, dass nationalistische Bewegungen aus der Erfolgsgeschichte ihre historische Legitimation konstruieren. Hinter dem mannigfachen Gebrauch verblasst die originäre Bedeutung immer mehr. Ähnlich verhält es sich mit dem Ruf „Wir sind das Volk“.

Wohl kaum ein anderes Ereignis der deutschen Zeitgeschichte hat eine solch breite Anerkennung gefunden wie die Montagsdemonstrationen:

  • - Sie sind Ausdruck eines authentischen Volkswillens.
  • - Sie artikulieren sich ohne den Einfluss politischer Institutionen.
  • - Die allgemeingültigen Ziele von Freiheit und Menschenrechte lassen sich mit den unterschiedlichsten Forderungen beladen.
  • - Unerfüllte Hoffnungen des Herbstes 1989 können in der Gegenwart eingelöst werden.
  • - Der wöchentliche Rhythmus findet mediale Aufmerksamkeit.
    (Vgl. Ralph Jessen: Die Montagsdemonstrationen – In: Erinnerungsorte der DDR, Hrsg: Martin Sabrow, 2009)

Dies führte dazu, dass es ungezählte Versuche gab, unter dem „Label“ auch lokalpolitische Forderungen durchzusetzen. Eine Auswahl:

  • - 1995 – Montagsdemos gegen Müllkonzept im Landkreis Fürth
  • - 1995 – Montagsdemos gegen das Sächs. Kommunalabgabengesetz in Glauchau
  • - 1996 – Montagsdemos gegen Sparpolitik an Hochschulen in Berlin
  • - 1997 – Montagsdemos gegen Sozialabbau und Arbeitslosigkeit in Göttingen
  • - 2002 – Montagsdemos gegen Kürzungen im Bildungsetat in Hamburg
  • - 2003 – Montagsdemos für die Olympiabewerbung in Leipzig
  • - 2004 – Montagsdemos für die Weiterexistenz des Deutschen Reiches in Kassel
  • - 2007 – Montagsdemos gegen das Rauchverbot in Kneipen in Frankfurt / Main
  • - 2007 – Montagsdemos gegen den Bau der „Waldschlösschenbrücke“ in Dresden
  • - 2009 – Montagsdemos gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21
  • - 2011 – Montagsdemos gegen den Frankfurter Flughafenausbau, Rhein-Main-Gebiet
  • - 2011 – Montagsdemos gegen den Berliner Großflughafen in Berlin-Friedrichshagen
  • - 2014 – Montagsdemos gegen ein Flüchtlingsheim in Berlin-Marzahn
  • - 2017 – Montagsdemos gegen die thüringische Gebietsreform in Sonneberg
  • - 2020 – Montagsdemos im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens für Nachtflugverbot
  • - 2020 – Montagsdemos gegen Corona-Beschränkungen in Neubrandenburg, Dresden, Osnabrück, Leipzig, Meißen ...

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts entstanden seit März 2014 montägliche sog. „Friedensmahnwachen“ in vielen Städten Deutschlands. Mit dem Etikett der Friedensbewegung und der DDR-Demokratiebewegung propagierten im weiteren Verlauf Populisten und Verschwörungstheoretiker unter dem Deckmantel kapitalistischer Systemkritik völkische und antisemitische Ansichten.

Die Aktionsform der „Montagsdemonstrationen“ ist eine der wenigen Spuren, die die ostdeutsche Demokratiebewegung in der gesamtdeutschen politischen Kultur hinterlassen hat. Der Mythos der Montagsdemonstrationen hat sich seitdem von einer populären „Wende“-Erinnerung zu einer populistischen „Volks“-Erinnerung gewandelt.

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